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Der nächste Morgen bringt dann endlich besseres Wetter. Da die direkte Straße nach Sospel ja gesperrt ist geht es also zunächst mal Richtung Mittelmeer und dann über den Col de Braus rüber nach Sospel und weiter nach Tende. Am Abend zuvor hatte Smokie in den höchsten Tönen vom Col de Tende geschwärmt. Einer der wenigen teilweise noch geschotterten Pässe und Einstieg in die ebenfalls geschotterte Kammstraße. Bei Wörtchen "Schotter" gingen bei mir zunächst mal die Alarmglocken an doch irgendwie haben die zwei mich dann doch breitgequatscht. Angeblich sollen es nur noch "die letzten 5 Kehren" sein und "da gibt es sogar Fotos von Supersportlern auf dem Pass". Naja, kann dann ja nicht so schlimm sein sagte ich mir und so nahmen wir an der letzten Kehre vorm Tende Tunnel die alte Südrampe der Passstraße mit ihren unzähligen Kehren.

Es war wohl so etwa bei Kehre 25, also knapp der Hälfte der Strecke, als der bis dahin zwar sehr schmale aber recht komfortable Asphaltweg in eine feine Splittpiste überging. Kein Problem bis dahin, feiner Splitt ist ja nun wirklich nichts was die Kante in Verlegenheit bringen würde.
So etwa 4 Kehren Später wurden die kleinen Splitt-Steinchen langsam aber stetig größer und etwa ab Kehre 35 wurden der Weg zu einem mehr oder weniger strukturierten Steinhaufen mit Wasserrinnen so tief, dass mein komplettes Vorderrad hätte drin verschwinden können. Da ich bei Kehre 5 die zwei Irren, die mir immer dichter auf die Pelle rückten, vorbeigelassen hatte, eierte ich also allein und mit Schweiß auf der Stirn Kehre um Kehre nach oben. Die Karre rutschte, bockte und hüpfte von Stein zu Stein, Rinnen zu Rinne und Schräge zu Schräge. "Bloß nicht wegwerfen!" - alles andere war mir jetzt Wurscht.

So etwa bei Kehre 45 warteten die zwei und machten Bilder von mir. Nach einer kurzen Pause heizten die zwei wieder los und ich gurkte die letzten Paar Kehren hinterher bis zur Pass-Höhe.

Die nicht ganz ernstgemeinte Frage ob ich die Kammstraße auch noch mitkommen würde verneinte ich und wir einigten uns drauf, uns am nächsten Kaffee an der Straße wieder zu treffen. Die zwei stürmten also mit ihren Enduros davon und ich murmelte fröhlich auf den Steinen die Nordseite des Passes wieder runter. Wenigstens waren hier wirklich nur noch 3 oder 4 Kurven Schotter und dann ging die auf dieser Seite elend breite Piste in eine wunderbar asphaltierte Straße über. Das war also auch des Rätsels Lösung wie die Supersportler zum Pass hochkamen.

Unten im Tal wartete ich bei einem Cappuccino dann erstaunlich kurz auf die zwei. Ihr Abstecher war wenig erfolgreich und wurde durch einige recht massive Felsbrocken, die noch nicht geräumt waren, beendet.

Bei Roccavione verließen wir die Schnellstraße und fuhren nach Westen zum Colla Fauniera. Über den Colle Valcavera, Fauniera und den Passo Esischie wollten wir nach Marmora. In Demonte stand ein kleines Schildchen auf der Straße zum Pass das auf Bauarbeiten und eine Straßensperrung hinwies. Wie das dann so ist, will man es ja nicht wahrhaben und hofft, dass man noch irgendwie durchkommen würde. Da es auch wenig Alternativen gab wagten wir es also und nahmen den Pass in Angriff. Die Baustellen hatten wir schon bald erreicht. Eine ganze Reihe Erdrutsche hatten die Straße an vielen Stellen weggerissen. Doch der frische Asphalt und nur noch ein wenig Schmutz auf der Straße waren alles was man davon noch sehen konnte. Leider war das nicht der Grund für die gesperrte Straße.

Den fanden wir etwa 10 km später in Form eines riesigen Schneebrettes mitten auf der Straße. Smokie riskierte nochmal Kopf und Kragen und fuhr auf der Wiese neben der Straße den Hang hoch bis hinter den Schnee doch eine Kurve später war auch für seine Tenere Schluss denn außer sehr sehr viel Schnee war nichts mehr zu sehen.
Ich fütterte das Navi neu und wir fuhren auf einer anderen Piste zurück zur Schnellstraße. Kurz hinter Roccasparvera, in einer engen aber sehr gut asphaltierten Rechtskurve ist es dann passiert.
Da mir Mirko mit seiner Enduro immer am Hinterrad klebte sah ich in jeder Kurve in den Spiegel um sicherzugehen, dass er nicht irgendwo innen neben mir war. Diesmal war er gute 20 Meter weit weg und wie immer auf einer etwas anderen Linie unterwegs. Ob es daran lag das der Asphalt dort schlechter war, an zu wenig Luft im Hinterrad oder ihm einfach nur ein kleiner Fahrfehler unterlief - sein Hinterrad rutschte weg, er ging vom Gas und wie im Lehrbuch fing sich das Rad wieder, die Hinterradfederung tauchte ein und die die Karre katapultierte ihn mit einem ordentlichen Highsider über den Lenker auf den Asphalt. Ich rollte noch ein paar Meter weiter und wollte dann, bescheuerterweise mitten in einer Kurve, umdrehen. Während ich gerade mitten auf der Gegenspur quer auf der Fahrbahn stand kam ein Auto um die Kurve, sah mich und wollte auf unserer Fahrspur vorbeifahren. Da ich nicht wusste ob Mirko hinter der Kurve immer noch auf der Straße lag riss ich die rechte Hand zur Seite und fuchtelte wie wild rum. Die zweite bescheuerte Idee. Durch meinen Schwung brachte ich meine Karre zum Kippen und ehe ich die Hand wieder an den Lenker bekam war es schon zu spät. Mir blieb nur ein eleganter Sprung vom Hobel um nicht unter selbigem begraben zu werden. Schrunz - und die Karre lag auf der Straße. Na wenigstens hielt das Auto jetzt an. Mirko war mittlerweile wieder auf den Beinen und nachdem auch ich die Suzi wieder in die Senkrechte gebracht hatte machten wir erst mal eine Pause. Erstaunlicherweise war an Mirkos Karre nix kaputt. Nur einige derbe Schrammen über Kotflügel und Cockpit - das wars. Außerdem hatte er einen ordentlichen Schlag auf den Zeh bekommen, sonst war aber auch er ohne weitere Verletzungen. Bei mir gab’s ein paar Schrammen am Auspuff und der Bremshebel war abgebrochen, der Stummel der noch dran war reichte aber zum "Zweifinger-Bremsen" locker aus.

Etwas weniger rasant ging es dann weiter doch die Pechsträhne an diesem Tage wollte einfach nicht abreißen. Nachdem wir bei Dronero in das zweite Tal abgebogen waren um über den Colle di Sampeyre nach Sampeyre zu kommen trennten wir uns bei Stroppo nochmal. Smokie wollte versuchen, von dieser Seite aus nach Marmora zu kommen, während ich und Mirko nicht mehr so richtig Lust hatten und lieber weiter nach Sampeyre zum Hotel fahren wollten.

Die Anfahrt zum Pass war fantastisch. Zuerst verlief die Straße dicht an der Felswand und in unzähligen kleinen Kurven um dann, kurz vorm Pass, über eine Hochebene fast schnurgerade zum Pass zu führen. Oben angekommen gab es wieder einen kurzen Snack und einen atemberaubenden Blick über die Gipfel. Dann hieß es abwärts doch nach gut 500 Metern war fast die komplette Straße von Schnee bedeckt. Nur ein schmaler Streifen direkt am Abhang war noch frei. Allerdings war eine Reifenspur deutlich zu erkennen. Man muss also irgendwie durchkommen. Zu Fuß gingen wir ein gutes Stück weiter um zu sehen ob man es schaffen würde. An einer der steilsten Stellen gab es eine gefährlich schmale Passage an der gerade mal 20 oder 30 Zentimeter zwischen Schnee und Abgrund frei waren aber sonst sah der Weg, zumindest aus der Ferne, ganz passabel aus.

Ich fuhr vor. An der schmalen Stelle schoben wir die Suzi denn dort ungesichert zu fahren war mir einfach eine Nummer zu heiß. Nachdem ich bis zur gegenüberliegenden Seite des Talkessels durchgekommen war endete das Schneefeld und so folgte Mirko auf seiner XT. Die weitere Abfahrt war abenteuerlich. Nach dem Schneebrett war der Rest der Straße war zwar mit Ästchen und Steinen übersät aber befahrbar. An einer Stelle fuhren wir unter einem umgestürzten Baum durch der gerade mal genug Platz ließ dass die Motorräder durch passten, an einer anderen Stelle fuhren wir über einige dünnere Stämme von Bäumen hinweg. Wir waren uns schon fast sicher dass wir es schaffen würden als eine ganze Reihe von Bäumen und Felsbrocken den Weg unpassierbar machten. Wir waren so dicht dran. Keine 50 Meter fehlten zur Bergstation der Seilbahn und somit dem geräumten Teil der Straße doch hier war einfach kein Durchkommen mehr. Also zurück. Da wir Smokie nicht am Telefon erreichen konnten schickten wir nur schnelle eine SMS - "Sampeyre dicht, fahren außen rum" - leider umsonst. Kurz vor dem Schneefeld kam uns Smokie dann entgegen. Er hatte die Nachricht natürlich nicht gelesen, hatte aber unsere Reifenspuren gesehen und sich gesagt: "Die würden da doch nie runterfahren wenn man nicht durchkäme." Egal, jetzt mussten wir eben wieder zurück. An besagter schmalen Stelle fuhr ich diesmal drüber während Mirko und Smokie mich so gut es ging hinten absicherten. Wieder am Pass angekommen wartete ich dann eine ganze Weile bis Mirko in der Ferne und zu Fuß um die Ecke kam und irgendwas brüllte. Ich lief zurück und sah die Bescherung. Während Mirko über die schmale Stelle drüber gekommen war, passierte Smokie das, was wir befürchtet hatten. An der Stelle rutschte sein Hinterrad im matschigen Gras kurz weg und wie in Zeitlupe kippte die Karre Richtung Abhang. Da ja kein Platz war um sie mit dem Fuß abfangen zu können hatte Smokie keine Chance und Ross und Reiter machten den Abgang. Smokie blieb etwa 3 Meter tiefer auf einigen vorstehenden Felsen liegen, die Karre verkeilte sich ein Stück höher mit dem Lenker so glücklich in der Felswand, dass sie dort kopfüber hängen blieb und ihn nicht die gut 100 Meter nach unten mitgerissen hat. Auch Smokie hatte sich bei seinem Abflug keine Beulen geholt, nur die Karre hing an einer extrem bescheidenen Stelle im Hang. Irgendwie mussten wir sie jetzt wieder auf die Räder und auf das schmal Stück Weg zwischen Schnee und Anhang bringen. Mirko und Smokie drückten sie von unten hoch und ich verkeilte mich so gut es ging im Schnee und zog an einem Seil (das Mirko immer dabei hat) um zu verhindern, dass sie wieder nach unten kippt wenn die beiden loslassen mussten.
Irgendwie hat das tatsächlich funktioniert. Erstaunlicherweise hat die gute Tenere außer einem abgebrochenen Spiegel bei der ganzen Aktion nur ein paar kleine Kratzer abbekommen - ich frag mich bis heute noch wie man so viel Dusel haben kann.

Den Rest des Tages fuhren wir alle irgendwie sehr vorsichtig und nur noch bis zum nächsten Hotel ("Valle Maira") zurück nach Dronero. Bei Pizza und Wein resümierten wir den Tag - einmal Tende-Schotter-Rumgekurke, einmal verschüttete Kamstraße, einmal Schneesperre, ein Highsider, einmal Karre umwerfen, einmal Lawinensperre, einmal Karre den Abhang runter geworfen. Kratzer und Schrammen in allen drei Karren, ein abgebrochener Spiegel, ein abgebrochener Bremsgriff und ein dicker blauer Zeh - klingt wie ein ganz normaler Tagestrip in den Alpen.