Mitte Mai mit dem Motorrad in die Alpen zu fahren ist eine echt bescheuerte Idee. Schon ein Blick auf die Karte verrät, dass die meisten Pässe bis Juli gesperrt sind. Da es mit Terminen jedoch recht eng war, hieß; es am 17. Mai dann trotzdem - Gepäckrolle verspannen und ab in die Berge. Der Zeitplan war eng gesteckt. 4 Tage inklusive An- und Abreise lassen nicht viel Spielraum zu. Gerade mal 2 freie Tage blieben also und so entschieden wir uns dafür, einen Ort zur Basis zu machen und von dort aus nur kleine Tagesrouten zu fahren.

Es ging wieder nach Frankreich, genauer gesagt nach Bourg St. Maurice. 2003 sind wir auf der Tour dort in einem kleinen Hotel abgestiegen und waren vom Essen begeistert. Außerdem liegt der Ort ideal, denn von dort aus kann man in bequemen Tagesrundfahrten etliche Pässe abfahren. Da es von Stuttgart aus knappe 700 km bis dorthin sind, verlief der größte Teil der Anfahrt auf der Autobahn. Bei unter 10°C und bedecktem Himmel nicht wirklich spaßig ...

Über die A81 gen Süden erreicht man recht schnell die Schweizer Grenze. Von dort aus geht es über Zürich und Bern bis zum Genfer See und von dann auf der A9 weiter bis Martigny. Spätestens jetzt hat man die Nase voll von Autobahnen, daher ist es eine wahre Erholung den Rest der Strecke auf der Landstraße abzuspulen. Der Col d.l. Forclaz und der Col des Montes, die uns nach Frankreich führten, waren dann genau richtig um einen kleinen Vorgeschmack aufs Kurvenräubern zu bekommen. Das gab Kraft genug um nochmal ein kurzes Stück Schnellstraße von Charmonix bis St. Gervais le Bains zu überstehen. Nun ja, wenigstens bleiben einem die Wohnmobile im Mai erspart, und auch sonst waren die Straßen angenehm leer. Die nächsten paar Kilometer noch schnell im Tal entlang und dann in Notre Dame de Bellecombe ab auf die wenig befahrenen Straßen über den Col des Saises und den Cormet de Roseland. Hoppla, was ist das denn? Dieses blaue Schild in Beaufort, auf dem in dicker Schrift auf rotem Untergrund “Ferme” steht, lässt nix gutes erahnen. Soll es wirklich wahr sein und selbst der nicht mal 2000 m Hohe Roseland noch gesperrt sein? Da wir es nicht wahr haben wollen und die Alternativen jetzt recht begrenzt ausfallen, ignorieren wir das Schild einfach und fahren, weitere drei “Ferme” Schilder ignorierend einfach weiter. Am Lac du Roseland stoppen wir noch mal kurz und begutachten die Straße die zum Pass hinauf führt aus der Ferne. OK, da ist schon noch Schnee zu sehen, aber jetzt umdrehen wäre feige. Also Helm wieder auf und vorwärts zum Angriff. Siehe da, nix mit gesperrt. Der Pass ist frei, die Straße nur am Rand von Schneebergen gesäumt. Warum der nun gesperrt sein sollte, wird wohl auf ewig das Geheimnis der französischen Straßenbehörde bleiben ...
Nur knapp 8 Stunden nach Abfahrt erreichen wir unser Ziel. Am Hotel selbst ist auch in den letzen zwei Jahren nix verändert worden. Die Zimmer strahlen immer noch den Charme der Jahrhundertwende aus und nur die Präsenz eines Fernsehers verrät, dass man nicht auch in der Zeit gereist ist.
Das Essen im Hotelrestaurant entschädigt aber mehr als ausreichend den fehlenden Komfort der Zimmer.

7:30 - der Wecker holt uns aus dem Schlaf. Ein Blick aus dem Fenster und es ist schnell klar -  klar ist hier nix. Wolken wo hin man schaut. Ab etwa 1800 Meter verschwinden die Berge in der trüben grauen Masse. Wenigstens regnet es nicht. Aber was solls. Wir sind zum Kurven räubern hier, also ab auf die Motorräder.
Nachdem wir gestern schon Glück hatten wollen wir es diesmal genau wissen. Col d’Iseran heißt das Ziel. 2770 Meter hoch und vom Tal aus dank der Wolken nicht zu sehen. Bei der Anfahrt werden unangenehme Erinnerungen wach. An der Auffahrt nach Val d’Isere steht eines dieser risigen orangenen Bauschilder, das selbst für uns, die wir kein Wort Französisch sprechen, mittlerweile eindeutig eine baustellenbedingte Vollsperrung der Straße ankündigt. Das Einzige was wir nicht verstehen ist, ob nun von 22.00 - 7.00 Uhr gesperrt oder offen ist. Egal, wird schon irgendwie funktionieren.
Es ist dann wieder der letzte Tunnel vor Val d’Isere, an dem sich dicke Baumaschinen breit machen. Doch wir haben Glück. Zwar ist es zappenduster in dem Tunnel und ich habe das Gefühl, dass meine Scheinwerfer irgendwie abgeklebt wären, aber man kommt durch.
Der Skiort präsentiert sich uns wie schon vor zwei Jahren - wie ausgestorben. Da jedoch noch massig Schnee auf den Bergen zu sehen ist, sind anscheinend doch noch ein paar Touristen da und hier und da ist ein Laden oder ein Hotel geöffnet.
Das mit dem Schnee hätte uns eigentlich zu denken geben müssen, aber wir donnern eisern weiter. Es wird eiskalt und meine Finger - verdammte Sommerhandschuhe - kündigen ein baldiges Absterben an. Noch eh ich mir wirklich ernsthaft Sorgen machen muss, bremmst eine stattliche Menge Schnee auf der Straße direkt hinter der Kehre jedes weiter Vorhaben. Ein kurzer Blick die Straße bergauf und alles ist klar. Da geht nicht mal was mit Schneeketten. Also in der Kehre wenden - nur wenn man zusieht eine witzige Sache - und zurück. Im Ort stoppen wir noch mal kurz. Ich hol die dicken Winterhandschuhe raus und wir grübeln, wo wir nun hinfahren. Der dritte Pass aus Bourg St. Maurice raus, der Kleine Bernhard, ist ebenfalls gesperrt. Es bleibt somit nur die Schnellstraße nach Moutiers, doch dafür hätten wir auch in Deutschland bleiben können.
Auf unseren Karten sind direkt neben der Schnellstraße noch ein paar kleinere eingezeichnet. Wenns also schon nix mit den ganz großen Pässen wird, dann soll es wenigstens Kurvenräubern auf kleinen Bergstraßen werden.
In Bourg St. Maurice suchen wir die Straße nach Landry und werden, eher zufällig, sofort fündig. Unser Plan sieht vor, eine winzig kleine Straße kurz hinter Landry zu nehmen, die uns über das Hochplateau nach le Bios und Bozel bringen soll. Auf der Karte müssen wir dazu kurz vor einem Bahnübergang links abbiegen. Am Bahnübergang angekommen geht Tatsache ein schmaler Schotterweg links weg. Der sieht allerdings nicht aus wie das, wonach wir suchen. Also zurück und den vorherigen Abzeig nach links nehmen. Der war verdächtig weit weg vom Bahndamm und stellt sich, einige Kilometer und ein paar nette Kurven später auch als falsch heraus. Ist es dann doch dieser kleine Weg? Wir düsen zurück, ich stürme todesmutig den Schotterweg rauf und stehe nur Sekunden später im Vorgarten eines Bauernhofes. OK, dann eben nicht.
Wir folgen der kleinen Landstraße weiter bis Macot und biegen kurz hinter Macot links ab. Schon bald stimmt unsere Karte, auf der es eine einzelne kleine Straße ohne Orte und Abzweige sein sollte, nicht mehr mit der Realität überein. Wir düsen durch unzählige kleine Orte, mal Berg auf mal Berg ab, und erreichen kurz vor Moutiers wieder die Schnellstraße. In Moutiers machen wir Mittagspause in einem kleinen Bistro und planen weiter. Wir könnten parallel zur Schnellstraße weiter kleine Landstraßen abgrasen, doch unsere Karte hat sich jetzt schon mehrfach als untauglich erwiesen. Ich habe die Hoffnung vielleicht über die Wolkendecke zu kommen und so geht es satt, zufrieden und aufgewärmt nach Val-Thorens.
Die Anfahrt ist angenehm. Guter Asphalt, viele Kurven und wenig Verkehr. Als uns ein Kleintransporter mit schneeverklebter Scheibe entgegenkommt, ahnten wir eigentlich schon was gleich kommen würde. Aber da wir Optimisten sind ...
Schon bald sind wir in den Wolken. Es ist kalt, es nieselt und wir können keine 20 Meter weit sehen. Irgendwo seh ich ein Thermometer. Es zeigt 3°C. Eisern fahren wir weiter. Der Nieselregen wird zu Schneeregen und schließlich zu Schnee. In Val-Thorens zeigt ein Thermometer 1°C. Mittlerweile liegen etwa 5 Zentimeter neuer Schnee, aber die Straßen sind bis auf zwei Flecken frei. Weiter gehts hier nicht mehr und ein Ende der Wolken ist auch nicht in Sicht. Also zurück ins Tal. Bei der Abfahrt fällt uns auf, dass die Wolken und der Regen jetzt schon einen Ort weiter reichen als bei der Auffahrt. Kein gutes Zeichen.
Zurück im Tal biegen wir nach Bozel ab. Wir wollen nocht einmal die Straße über das Hochplateau suchen und hoffen, sie von Bozel aus eher zu finden. Auch diesmal ist die Anfahrt recht angenehm doch in Champagny-en-Vanoise kommen wir wieder in die Wolken. Wir folgen der Straße weiter bis le Planay und sind jetzt irgendwo auf dem Hochplateau, doch wir können keine 20 Meter weit sehen und es beginnt jetzt auch stärker zu nieseln. Die Straße wird immer schmaler und verläuft irgendwo durch Wiesen und Felsen fast kurvenlos durchs Grau. Ich bin mir ziemlich sicher, das wir richtig sind, denn auf der Karte sieht es fast ebenso aus. Als die Straße an einer Hütte und einer Infotafel endet, sind wir uns dann ziemlich sicher das wir auch diesmal falsch liegen. Wir haben keinen Plan wo wir sind. Alles was wir der Infotafel entnehmen können ist, dass wir irgendwo im Naturschutzgebiet sind und ab hier nur noch Wanderwege weiterführen. Auch die freundlichen Versuche eines Wanderers uns in gebrochenem Englisch-Französisch zu helfen nutzen da nix.
Auf dem Weg zurück biegen wir nochmal kurz verkehrt in eine Einbahnstraße ein und finden tatsächlich den Ort le Bios und uns auf der Karte wieder. Doch der einzige Weg der hier weiterführt ist ein Feldweg und sowohl für die XT von Mirko und erst recht für meine SV unfahrbar.
Mittlerweile ist es unangenehm kalt und ich habe auch keine Lust mehr. Wir düsen zurück und auch diesmal reichen die Wolken und der Regen wieder einen Ort weiter als bei der Auffahrt.
Auf der Schnellstraße geht es von Moutiers dann zurück nach Bourg St. Maurice ins Hotel. Eine warmes Bad und ein leckeres Abendessen später lassen wir den Tag mit Rotwein und Käse ausklingen.

Der nächtse Morgen beginnt deutlich freundlicher. Sonne satt und nur noch ein paar einzelne Wölkchen am Himmel. Beste Voraussetzungen also für eine größere Tour.
Der Col de Madeleine soll uns auf die andere Seite des Bergmassives bringen, wo weitere Pässe auf uns warten. Da wir keine Zeit vertrödeln wollen geht es über die Schnellstraße nach Moutiers und direkt weiter Richtung Albertville bis wir bei St. Oyen zum Pass abbiegen. Ein paar Kilometer weiter geben uns ein paar Motorradfahrer, die gerade ihre Kerten studieren, zu verstehen, dass der Pass zu ist. Wir stoppen und fragen nach. “Wenn ihr eine Schippe dabei habt, könntet ihr es schaffen.” so der scherzhafte Kommentar. Der Madeleine ist zu - meterhoch Schnee auf der Straße. Wärend die beiden Motorradfahrer weiterfahren studieren wir unsere Karte. Es gibt noch eine zweite Straße über das Massiv. Wir ahnen zwar bereits, dass wir die niemals finden werden, aber wir versuchen es trotzdem. Unzählige Sträßchen, Orte, Kreuzungen und ein paar Sackgassen später sind wir hoffnungslos verloren und haben keinen Plan mehr, wo wir uns befinden. Unsere Karte ist einfach zu ungenau. Wir müssen wohl oder übel über Albertville das Massiv umfahren. Um es wenigstens etwas erträglich zu gestalten biegen wir hinter Albertville schon bald von der viel befahrenen N90 ab und schlängeln uns auf kleinen Sträßchen durch die Berge. Irgendwo bei Bonvillard machen wir noch einen kurzen Abstecher zu einem alten Fort. Mirko hat mit seiner XT eine Menge Spass auf dem schmalen Asphalt-Schotter Sträßchen, wären ich mit der SV wie auf Murmeln knapp über Schrittempo um die Kurven eiere.
Ich fahre mittlerweile nur noch nach Wegweisern, denn die Orte und Straßen sind auf der Karte sowieso nicht eingezeichnet. In Aigubelle kommen wir wieder auch die Schnellstraße. Da die aber extrem langweilig schnurgearde durchs Tal führt, biege ich an der nächsten Kreuzung einfach ab und wir schlängeln uns über kleine Straßen durch die Berge und schließlich wieder zurück ins Tal bis St. Etienne-de-Cuines, wo die Passstraße zum Col du Glandon und Col del la Croix Fer abgeht. Die zwei Pässe sind offen und ohne störenden Verkehr düsen wir hinauf und hinab. In Belleville müssen wir dann einer Umleitung folgen.
Auf den kleinen engen Asphaltbändchen qäulen sich schon bald Autos und LKWs die Serpentinen über den Col du Mollard nach St. Jean-de-Maurienne. Da die Überholmöglichkeiten nahezu Null sind, quälen wir uns größtenteils mit der Autoschlange bis ins Tal. Dort angekommen gibts erstmal einen kleinen Imbiss.
Eigentlich wollten wir jetzt eine kleine Straße mit unzählig vielen Serpentinen wieder hinauf und dann über den Mollard wieder hinunter. Da wir aber keine Lust haben, uns abwärts wieder in die Autoschlange einzureihen, beschließen wir eine kleine Runde nach Corbier und la Toussuire und wieder zurück zu drehen. Eine gute Entscheidung wie sich schon wenig später herausstellen sollte. Guter Asphalt, viele Kurven, wenig Verkehr und bestes Wetter.
Wir überlegen noch kurz, ob wir den Col du Galibier probieren sollten, doch mittlerweile nehmen wir die “Ferme” Schilder ernst, denn ob der Höhe des Passes hält sich unser Optimismus diesmal in Grenzen.
Auf kleinen Landstraßen geht es also zurück nach Albertville und dort dank fortgeschrittener Stunde und einsetzender Erschöpfung auf der Schnellstraße zurück zum Hotel.

Da auch am Abreisetag das Wetter bestens ist, wollen wir wenigstens noch ein bisschen Spaß einbauen und beschließen, auf der Rücktour in der Schweiz einen kleinen Abstecher über den Col de la Croix und Col du Pillon zu machen. Abgesehen davon, dass wir in Villars den falschen Weg wählen und auf einem mäßig asphaltierten Fahrradwanderweg kilometerweit irgendwo durch die Berge irren, getht unser Plan auf.
Bei Spiez kommen wir dann wieder auf die Autobahn und düsen ab Bern wieder auf dem Anreiseweg zurück.
In Deutschland dürfen wir dank eines LKW-Brandes auf der Autobahn dann noch eine Weile in der Sonne schmoren, den selbst mit den Motorrädern kommen wir nur bis an den Beginn des Staus, aber nicht an dem LKW vorbei.
Da mein Hinterreifen mittlerweile sowieso völlig fertig ist und ich auf den letzen halben Millimeter Profil auch keinen Wert mehr lege, lasse ich nach Ende der Vollsperrung die SV fliegen und radiere den letzten Rest Profil auch noch vom Reifen.